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Porträt / Für die Tamedia-Sonderbeilage im "Tages Anzeiger" - 27.05.2023

"Es ist nie zu spät, links abzubiegen"

Was tun, wenn man im Leben plötzlich unerwartet an eine Weggabelung gelangt? Den unbekannten Weg gehen und sich weiterentwickeln – sagt Gert Stäuble. Der ehemalige Schlagzeuger der Erfolgsband Züri West muss es wissen: Er ist nicht nur Musiker, sondern ist seinen Weg unter anderem auch als Pilot geflogen. Uns hat er erzählt, was ihn antreibt, immer wieder Neues zu lernen.

Vom Hochbauzeichner zum Schlagzeuger zum Piloten: Gert Stäuble bleibt gerne in Bewegung.
Vom Hochbauzeichner zum Schlagzeuger zum Piloten: Gert Stäuble bleibt gerne in Bewegung.

Schon in der Schule wusste Gert Stäuble: Ich will Schlagzeuger werden. Als in der achten Klasse ein Drummer für das Schulmusical fehlte, meldete sich Gert sofort und begann zu üben. «Ich hatte den Traum, davon leben zu können», erinnert er sich. Seine Eltern jedoch wollten für ihren Sohn etwas Solides und so absolvierte er nach der Schule erstmal eine Lehre zum Hochbauzeichner. Seinen Traum verfolgte Gert Stäuble aber dennoch weiter: «Ich hatte flexible Arbeitszeiten und konnte jeden Mittag drei Stunden üben.» Die Lehre hat er zwar erfolgreich beendet, danach jedoch arbeitete Gert Stäuble nicht einen einzigen Tag auf seinem Beruf. Stattdessen verdiente er sein Geld als Taxifahrer und spielte in einer Band. 1989 gründete er mit seinen Kollegen «Central Services», eine Band, die in der Schweiz und in Deutschland erfolgreich war. Als der junge Musiker jedoch Anfang der 1990-er Jahre von einigen Monaten an einer Musikschule in New York zurückkehrte, wurde die Band aufgelöst. «Ganz kurz vor dem Durchbruch», erinnert sich Gert Stäuble zurück.

Irgendeinisch fingt z Glück eim?

Wenn eine Tür sich schliesst, geht dafür oft eine andere auf. So verging nicht viel Zeit, bis sein ehemaliger WG-Kollege und Gitarrist Markus Fellmann Gert Stäuble zu einem Vorspielen bei Züri West bat. «Ich ging eher halbherzig hin, denn ich hatte eigentlich kein Interesse an Mundartmusik.» Die Mitglieder von Züri West gaben Gert nach dem Vorspielen zwei Wochen Bedenkzeit. «Weil ich mich nicht entscheiden konnte, habe ich schliesslich einen Fünfliber geworfen.» Kurz nach seinem Beitritt ging es richtig los. Mit dem Lied «I schänke dir mis Härz» kam der ganz grosse Erfolg: Ausverkaufte Tourneen und goldene Schallplatten. Gert Stäuble denkt gern an diese Zeit zurück. Vor allem in den ersten Jahren habe er viel gelernt und sich und seine Ideen einbringen können.

Es ist wie in einer Beziehung: Es schleichen sich Muster ein, an denen man Arbeiten muss, um diese zu durchbrechen.

Gert Stäuble

Mit der Zeit aber wurde es schwieriger. «Es ist wie in einer Beziehung: Es schleichen sich Muster ein, an denen man Arbeiten muss, um diese zu durchbrechen.» 2021 hat sich Gert Stäuble nach 27 Jahren von der Band getrennt. Kein einfacher Schritt – auch wenn er schon länger gemerkt hatte, dass sein Weg in eine andere Richtung geht. «Erst die Coronazeit gab mir den Raum und die Zeit, mich ernsthaft damit auseinanderzusetzen und herauszufinden, was ich noch möchte und was nicht.» Am Ende seien einfach die Vorstellungen zu fest auseinandergegangen und so kam es zur Trennung.

Von der Bühne ins Cockpit

Gert Stäuble wollte nie alles auf eine Karte setzen. Er habe sich schon früh gefragt, was passiert, wenn er älter wird oder das mit der Musik nicht mehr läuft. Anfang 2000 begann der Berner deshalb in seiner Freizeit mit der Ausbildung zum Piloten. Das Ende seiner Ausbildung fiel just zusammen mit den Terroranschlägen vom 11. September. «Es war erstmal unmöglich, eine Neuanstellung als Pilot zu finden», erzählt er. Anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, investierte sich Gert Stäuble in neue Projekte: Er spielte in verschiedenen Bands mit, gründete ein eigenes Aufnahmestudio, führte einen Club in der Stadt Bern, kaufte einen grossen Bus und fuhr damit Bands an Konzerte oder Festivals in ganz Europa. Erst als 2007 sein erster Sohn auf die Welt kam, beschränkte er sich wieder aufs Musikmachen mit Züri West und erhielt seinen ersten Job als Pilot bei einer Businessfirma. Sechs Jahre später gründete Gert mit seinen Freunden die Band «Bubi Eifach», die es immer noch gibt. «Der Erfolgsdruck bei Züri West wurde immer grösser. Mit Bubi Eifach konnte ich noch frisch von der Leber weg Musik machen», erklärt Gert Stäuble. Auch flugtechnisch entwickelte er sich weiter: Von der kleinen Businessfirma wechselte Gert Stäuble zu Skywork und schliesslich 2019 zu Helvetic, wo er auch heute noch fliegt. Seine unterschiedlichen Jobs waren vor allem für seine Familie - mit mittlerweile drei Kindern - oft eine Herausforderung: «Als Musiker ist man viel unterwegs, als Pilot ebenfalls. Wir waren ständig am Organisieren und meine Frau musste immer wieder sehr viel Flexibilität an den Tag legen.»

Lust auf eigene Songs

2018 legte eine Autoimmunkrankheit, ausgelöst durch einen Virus, die Nerven von Gert Stäuble lahm. Aufgeben war keine Option. Als er entdeckte, dass ihm die Bewegung im Wasser guttut, begann er, jeden Tag zu schwimmen - bis die Symptome zurückgingen. Nach seiner Krankheit, der Corona Pandemie und der Trennung von Züri West brauchte Gert Stäuble über ein Jahr, um seine Gefühle und Ziele neu zu ordnen. «Im Sommer 2022 habe ich gemerkt, dass ich eigene Songs machen will und die 6-köpfige Band Alva Leaves initiiert», erzählt Gert Stäuble. Dass nun seine eigenen Lieder entstehen, ist für den Musiker eine neue Erfahrung, die ihm viel Aufwind gibt. Etwa gleichzeitig hat Gert Stäuble gemeinsam mit seiner Frau die Nordwind Bern GmbH gegründet. Diese vermietet in einer Liegenschaft im Berner Mattenhofquartier vier möblierte Wohnungen an Geschäftsleute oder Künstlerinnen. «Dieses Projekt ist uns sozusagen in den Schoss gefallen und wir haben damit auch ein Risiko auf uns genommen», erzählt Gert Stäuble. Bis jetzt sei die Rechnung aber aufgegangen – wie so oft, wenn man einer Herausforderung offen begegnet und darauf vertraut, dass es gut kommt. Das sei auch etwas, dass er seinen Kindern mitgeben möchte: «Wenn man es passieren lässt und in Bewegung bleibt, kann man auch im Alter noch links abbiegen und etwas Neues wagen.»