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Porträt / Für die Tamedia-Sonderbeilage Frühling 2022 - 18.03.2022

«Die krummen Rüebli sind die besten»

Woche für Woche verkauft Sarah Dähler auf dem Berner Bundesplatz ihr frisches Gemüse. Sie weiss, wie man sich als junge Frau in einer Männerdomäne behauptet, warum biologischer Anbau eine Lebensphilosophie ist und verrät, was im Frühling auf ihrem Teller landet.

Sarah Dähler 1

Es ist Dienstag, kurz vor fünf Uhr. Die Stadt schläft noch, nur auf dem Bundesplatz ist schon seit knapp einer Stunde Betrieb: Es werden Kisten ausgeladen, Tische aufgestellt und Planen gespannt. Aus dem leeren Platz wird im Handumdrehen ein Märit. Eine der fleissigen Marktfrauen ist die 35-jährige Sarah Dähler. «Das frühe Aufstehen macht mir nichts aus; ich war sowieso noch nie eine Langschläferin», sagt sie lächelnd und rückt eine Kiste mit Zuckerhut auf ihrem Stand zurecht. Damit sie pünktlich für die ersten Marktbesucherinnen und -besucher parat ist, beginnt ihr Tag jeweils bereits um halb vier. «Bei schönem Wetter kommen die Leute schon vor sechs Uhr auf den Markt», erklärt sie und fügt schmunzelnd an: «bei Regen sind sie aber meistens etwas später dran.» Sarah Dähler hat das Marktleben im Blut. Schon als Kind stand sie regelmässig hinter dem Stand ihrer Eltern, die den Familienbetrieb in Seftigen vorher geführt haben. Auf rund fünf Hektaren Land werden auf dem Biohof Dähler verschiedene Frischgemüse, Salate, Peperoni, Auberginen und Tomaten angebaut. Im Frühling kommen Setzlinge und Biospargel dazu. Vor rund 30 Jahren haben Dählers ihre Tiere verkauft und von da an ganz auf Gemüse gesetzt. «Das war eher ungewöhnlich bei uns in der Region und die anderen Bauern haben uns deshalb oft etwas belächelt», erinnert sich Sarah Dähler. Zu Beginn haben Dählers ihr Gemüse auf den Märkten in Thun und Unterseen angeboten und die vier Geschwister der Familie haben sich jeweils darum gestritten, wer mit den Eltern mit auf den Markt durfte. «Einerseits, weil wir das Markttreiben gern mochten, andererseits aber auch wegen dem Fünfliber, den die Eltern uns am Ende des Markttages in die Tasche steckten», erzählt Sarah Dähler und lacht.

Eine Chefin, die anpackt

Auch heute noch geht Sarah Dähler leidenschaftlich gerne auf den Märit. Mittlerweile sind es fünf verschiedene Wochenmärkte, auf denen sie ihr Gemüse verkauft. Jeden Dienstag und Samstag ist sie in Bern auf dem Bundesplatz. Der Markt, das sei für sie wie eine Bühne für ihr Gemüse, welches sie monatelang gehegt und gepflegt hat: «Ich kann hier meine Auberginen und den Salat präsentieren und sehe unmittelbar, wie das Publikum darauf reagiert.» Besonders schön sei es für sie dabei immer wieder zu merken, dass die Leute auf dem Märit auch – oder vielleicht gerade – ein krummes Rüebli schätzen. «Schliesslich sind das ja auch die besten», sagt sie und lächelt. Vor drei Jahren hat Sarah Dähler den Betrieb von ihren Eltern übernommen. Seitdem ist sie die Chefin und damit auch eine der wenigen Frauen, die einen Märitstand besitzen. «Ich denke, dass das so ist, weil die Arbeit körperlich an die Substanz geht», mutmasst die gelernte Landschaftsgärtnerin.

Ich kann hier meine Auberginen und den Salat präsentieren und sehe unmittelbar, wie das Publikum darauf reagiert.

Sarah Dähler

Sarah Dähler macht das viele Kistenschleppen nichts aus. Im Gegenteil: «Ich habe immer gern angepackt und kann mir nicht vorstellen, den ganzen Tag in einem Büro zu sitzen.» Im Betrieb hat Sarah Dähler fünf Angestellte und auch ihre Eltern helfen noch immer mit. Hinter dem Märitstand stehen je nachdem zwischen vier und 14 Leute. «Unser Geschäft ist stark Wetter- und Saisonabhängig, im Frühling haben wir jeweils am meisten zu tun», erklärt die junge Chefin. Der Lockdown im Frühjahr vor zwei Jahren war deshalb eine grosse Herausforderung für das Marktgeschäft. «Der Verkauf auf den Märkten ist unsere Haupteinnahmequelle und es brauchte in diesen Wochen viel Flexibilität, Kreativität und Durchhaltewillen, um den Betrieb am Laufen zu halten.» Allgemein sei die Stimmung auf dem Markt während der ersten Monate der Pandemie oft sehr angespannt gewesen. «Klar, die Leute waren verunsichert, das ging mir ja nicht anders», erzählt Sarah Dähler und streicht sich dabei nachdenklich über die grüne Schürze. Sie habe aber auch gemerkt, wie solidarisch viele Marktbesucher während dieser Zeit waren.

Bio aus Überzeugung

Bio ist für Sarah Dähler eine Lebensphilosophie
Bio ist für Sarah Dähler eine Lebensphilosophie

Auf dem Schild über Sarah Dählers Marktstand steht in grossen Buchstaben «Bio». «Das ist eine Lebensphilosophie», sagt sie. Auf dem Hof der Familie Dähler wurde schon immer biologisch gearbeitet; anders kann es sich Sarah Dähler deshalb auch gar nicht vorstellen. «Wenn ich sehe, was bei uns auf dem Feld alles kreucht und fleucht – im Vergleich zu nicht-Bio-Betrieben – dann weiss ich, es ist richtig so», sagt sie während sie dem Kind einer Kundin lachend einen kleinen Apfel überreicht. Sarah Dähler ist es ausserdem wichtig, dass sie ihr Gemüse jederzeit direkt vom Feld probieren kann, ohne es vorher gründlich waschen zu müssen. Plötzlich erklingt lautes Lachen hinter dem Märitstand. Zwei Verkäuferinnen posieren für Touristen, die ein paar Erinnerungsfotos schiessen. Das farbige Gemüse in der Auslage steht einmal mehr im Mittelpunkt. «Wir werden hier oft zum Fotosujet, wer weiss in welchen Alben wir und unsere Auberginen schon verewigt sind.»

Vier Jahreszeiten, vier Fragen:

Was liebe ich am Frühling?

Wenn die Natur erwacht, die Pflanzen wieder spriessen und alles rundherum grün wird. Dann habe ich auf dem Hof alle Hände voll zu tun und kann in meinem Beruf wieder aus dem Vollen schöpfen und mich auf das neue Gemüse freuen.

Wie lässt sich mein derzeitiger Lieblingsplatz in Bern beschreiben?

Das Holzfass draussen vor dem Café Fédérale, vis-à-vis vom Bundeshaus. Dort treffen wir Marktleute uns jeweils und nutzen die kurze Pause zum Plaudern. Diesen Austausch mag ich sehr.

Was landet im Frühling häufig auf meinem Teller?

Ein frischer Kopfsalat mit einer feinen Sauce. Das ist für mich das ultimative Zeichen von Frühling auf dem Teller. Ich freue mich jedes Jahr wie ein kleines Kind auf meinen ersten Salat.

Welchen Duft verbinde ich mit dem Frühling?

Der Duft von Flieder begleitet mich seit meiner Kindheit durch jeden Frühling: Ich habe im Frühling Geburtstag und in unserem Garten steht seit eh und je ein Fliederbusch, der jedes Jahr pünktlich zu meinem Geburtstag blüht.