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Reportage / Für die Tamedia-Sonderbeilage "Home" - 10.05.2023

"Der Kreis hat sich geschlossen"

Drei Generationen auf vier Stockwerken: Mit ihrem Wohnmodell hat sich Familie Salzmann einen Traum erfüllt. Wie und warum das gemeinsame Zusammenleben funktioniert, zeigt unser Hausbesuch.

«Hallo, komm rein», sagt Linda Salzmann herzlich als sie die Tür zu ihrem Eck-Mehrfamilienhaus im Berner Rossfeldquartier öffnet. Der Weg ins Ess- und Wohnzimmer im ersten Stock führt durch ein typisches Altbautreppenhaus, das eigentlich auch bereits zum Wohnraum gehört: «Unsere Türen stehen sowieso meistens offen, denn letztendlich sind wir ja eine Familie», so Linda Salzmann. «Wir», das sind die Hauseigentümer David (53) und Linda (42), ihre Tochter Celina (20) und seit kurzem Davids Mutter Lilian (93). «Ausserdem sind hier auch Hund Suko, Katze Couscous und zwei Baby-Schildkröten zu Hause», sagt Linda und lacht, während sie in der offenen Küche Kaffee zubereitet. Ihre Schwiegermutter Lilian sitzt derweil zufrieden am grossen Esstisch und streichelt die Katze. «Lilian hört und sieht nicht mehr so gut», erklärt Linda und fügt an: «Man muss einfach etwas lauter mit ihr sprechen, damit sie alles versteht.» Mittlerweile ist auch David Salzmann dazugestossen und beginnt sofort lebhaft zu erzählen. Vom Hauskauf, vom Umbau und von der Idee bis zur Umsetzung des Generationenhauses. Aber beginnen wir von vorne.

Das Haus zum Glück

Familie Salzmann

David und Linda Salzmann lebten fast 25 Jahre im ruhigen Rossfeldquartier als sich ihnen vor vier Jahren überraschend die Möglichkeit bot, das Haus gegenüber ihrer damaligen Wohnung zu kaufen. «Wir haben keine Sekunde gezögert, auch wenn der Preis unverschämt hoch war», erzählt David Salzmann etwas verlegen. Das mittlerweile hundertjährige Haus verfügte ursprünglich über drei Stockwerke mit je einer Dreizimmerwohnung. Vor dem Einzug hat das Paar, das in der Immobilienbranche tätig ist, aber renoviert: Der erste Stock wurde in einen grossen Ess- und Wohnbereich verwandelt. Schlaf- und Jugendzimmer waren zu Beginn im zweiten Stock, wo die Küche zu einem grossen Badezimmer umgebaut wurde. Den Dachstock haben David und Linda komplett ausgebaut. «Seitdem hat unsere Tochter zuoberst ihr eigenes Reich und wir haben uns direkt neben unserem Schlafzimmer zwei geräumige Büros fürs Homeoffice eingerichtet», erzählt Linda Salzmann. Die Wohnung im Parterre haben die beiden bis vor kurzem an Freunde vermietet.

Alle unter einem Dach

Die Idee eines Generationenhauses schwirrte schon lange in den Köpfen von David und Linda herum. Bereits beim Hauskauf habe er seinen Eltern gesagt, dass sie jederzeit bei ihm einziehen können, erinnert sich David Salzmann. Nach dem Tod seines Vaters vor drei Jahren wurde Lilian zusehends einsam in ihrer Wohnung. «Als dann unsere Freunde im Parterre ankündigten, dass sie umziehen, war sofort der Gedanke an Lilian da», erzählt Linda Salzmann, die ein enges Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter pflegt. Bis zum definitiven Umzug von Lilian mussten sich aber dennoch beide Parteien intensiv mit diesem Schritt auseinandersetzen. «Lilian war es ein Anliegen, uns nicht zur Last zu fallen. Wir wollten ihr deshalb vermitteln, dass unser Angebot bedingungslos steht, ohne ihr Druck zu machen», erzählt Linda und David ergänzt: «Natürlich waren auch meine beiden Brüder involviert, da gab es viel zu besprechen und zu organisieren.» Kurzzeitig stand als Alternative die Option eines Alters- und Pflegeheimes im Raum. Als die Seniorin aber bei einer gemeinsamen Besichtigung auf dem Absatz kehrt gemacht habe, sei die Sache klar gewesen: Lilian zieht in die Parterrewohnung.

Wir haben die Wohnung auch zusammen mit Mitarbeitenden der Spitex angeschaut, um mögliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

David Salzmann

Damit sich Lilian wohl fühlt, haben Linda und David mit der Unterstützung lieber Freunde einige Umbauarbeiten vorgenommen. Die ganze Wohnung wurde neu gestrichen, in der Küche wurde helles Licht eingebaut, damit sich Lilian auch allein gut zurechtfindet und bei der kleinen Stufe zum Wintergarten wurde eine Halterung an der Wand angebracht. «Wir haben die Wohnung auch zusammen mit Mitarbeitenden der Spitex angeschaut, um mögliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen», erklärt David Salzmann. Der Umzug selbst war dann eine grosse Herausforderung und die ganze Familie packte mit an – inklusive den drei Grosskindern und ihren Partnern.

Von Partys und Pflegebedürftigkeit

Dass man sich jetzt näher ist, sei für alle ein Mehrgewinn. In ihrer Wohnung in der Länggasse war Lilian oft allein. Auch aufgrund ihrer Sehschwäche wurde sie im Alltag eher passiv. Nun kann sie nach ihren Möglichkeiten wieder mehr am Leben teilnehmen und geniesst den regelmässigen Austausch mit der Familie. Umgekehrt gestaltet sich dieser Austausch viel unkomplizierter und entspannter für Linda, David und Celina. Sie alle arbeiten Vollzeit und obwohl Lilian vor ihrem Umzug nur einige Autominuten entfernt gewohnt hat, vergingen manchmal mehrere Tage bis Wochen bis zum nächsten Besuch. Jetzt sehen sie sich jeden Tag: «Auch wenn es oft nur kurze Treffen sind, gibt diese Nähe uns allen ein besseres Gefühl», sagt David Salzmann. Wenn mehrere Generationen unter einem Dach wohnen, bringt das aber auch Herausforderungen mit sich. Celina feiert beispielsweise gerne kleine, manchmal auch feuchtfröhliche Partys mit Freunden in ihrem Studio. «Den Boden im Dachstock haben wir zum Glück vorausschauend gut isoliert», sagt David Salzmann und schmunzelt. Dennoch mussten alle lernen, tolerant zu sein, Rücksicht zu nehmen und Grenzen zu respektieren. Mit Lilian im Haus habe sich die Situation noch einmal verändert. «Wir sind nun auch pflegende Angehörige und müssen als solche aufpassen, dass wir uns mit dieser Aufgabe nicht überfordern», so Linda. Im Moment komme Lilian dank der zusätzlichen Unterstützung von Spitex und Mahlzeitendienst gut zurecht.

Wenn wir einmal alt sind, ziehen wir ins Parterre. Dann kann Celina uns pflegen.

David Salzmann

Sollte die Pflegebedürftigkeit zunehmen, müssten sie sich neu organisieren – jedoch immer mit dem Ziel, dass sie so lang wie möglich zu Hause bleiben kann. Ein Elternteil aufzunehmen ist für Linda und David auch eine ethische Frage, wie sie betonen. «Ich kann meiner Mutter jetzt etwas zurückgeben. Seitdem sie da ist, hat sich der Kreis geschlossen», sagt David Salzmann bestimmt. Für beide ist es deshalb selbstverständlich, dass auch die Eltern von Linda, die jünger sind als Lilian, später bei Bedarf eine Wohnung in ihrem Haus nutzen dürfen. Dass das Zusammenleben der Generationen im Hause Salzmann so gut funktioniert, liegt laut David vor allem an den idealen Voraussetzungen, denn ein Mehrfamilienhaus mit unterschiedlichen Wohnungen biete allen genug Rückzugsmöglichkeiten. Das Haus passe sich sogar den sich ständig wandelnden Bedürfnissen an, ist er überzeugt und sagt augenzwinkernd: «Wenn wir einmal alt sind, ziehen wir ins Parterre. Dann kann Celina uns pflegen.»