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Porträt - 12.09.2023

«Das Loslassen war befreiend»

Wenn die Kinder flügge werden und das Familienhaus plötzlich zu gross erscheint, stellt sich die Frage: Ist es Zeit für einen Umzug in ein kleineres Heim? Wir beleuchten, was es braucht, damit ein Paar diesen Schritt erfolgreich meistert – emotional und finanziell.

Glücklich auf kleinerem Raum: Hildegard und Spiros Netos.
Glücklich auf kleinerem Raum: Hildegard und Spiros Netos.

Hildegard (60) und Spiros (63) Netos sitzen entspannt auf ihrer geräumigen Dachterrasse und geniessen die Aussicht. Von hier oben blickt man über die Dächer der Stadt, sieht den Gurten und in der Ferne sogar die weiss leuchtenden Gipfel von Eiger, Mönch und Jungfrau. «Unser neues Daheim fühlt sich immer noch ein wenig an wie eine aussergewöhnliche Airbnb-Unterkunft», sagt der gebürtige Athener, während er griechischen Kaffee ausschenkt. Hildegard Netos betrachtet derweil zufrieden die grossen Töpfe, in denen verschiedene Kräuter gedeihen und stellt fest: «Dass die Wohnung uns beiden auf Anhieb so gut gefallen hat, war entscheidend, um den Schritt zu wagen.» Erst vor wenigen Monaten ist das Paar in diese 86 m2 grosse Attika-Wohnung in der Stadt Bern gezogen. Zuvor haben sie 28 Jahre in einem idyllischen Dorf zwischen Bern und Thun gewohnt. Als junge Eltern von drei kleinen Kindern hatten sie die Gelegenheit, ein 6-Zimmer Reiheneinfamilienhaus in einem ökologischen Neubauprojekt zu kaufen. «Mit Erdsonden-Heizung und Sonnenkollektoren war unsere Siedlung damals schon technisch hochmodern», erklärt der Elektroingenieur begeistert und nippt an seiner Kaffeetasse. Von Anfang an haben sich die beiden liebevoll um ihr Haus gekümmert. In der Küche montierte Spiros eine Arbeitsplatte aus Marmor, die er aus Griechenland mitgebracht hatte und Hildegard legte einen Kräutergarten an. Die Jahre vergingen und die Kinder wurden erwachsen. Nachdem schliesslich beide Söhne und die Tochter aus dem Haus waren, wurde die Stille für das Paar immer lauter. «Wir wussten, dass wir uns im Alter sowieso räumlich verändern müssen und wollten damit nicht warten, bis wir 70 sind», erzählt Hildegard.

Von der Idee bis zum Umzug

Bis zum Umzug war es dann aber doch noch ein längerer Prozess. Zunächst hegte das Ehepaar die Idee eines Mehrgenerationenhauses mit ihrer Tochter, deren Mann und den drei Kindern. Die Suche nach einem geeigneten und bezahlbaren Objekt gestaltete sich aber schwierig. Alternativ hielten sie gemeinsam Ausschau nach Neubauprojekten, um in separaten Wohnungen nah beieinander wohnen zu können. Nach mehreren Bewerbungen haben beide Parteien eine Zusage für je eine Wohnung erhalten. «Es ist toll, dass uns diese Mehrgenerationenwohnform ermöglicht wurde, und wir fänden es wichtig, dass solche Projekte gefördert würden», sagt Spiros Netos. Nach der Zusage ging alles schnell: Innerhalb von vier Monaten war der Mietvertrag für die Wohnung unterzeichnet und das Haus unter der Hand an ein junges Paar verkauft. Das endgültige Loslassen war für beide eine befreiende Erfahrung. So sei auch die grosse Trauer nach dem Umzug ausgeblieben: «Ich fühle eher eine schöne Melancholie, weil das Haus nun in den Händen eines jungen Paares liegt und die Geschichte weitergeht», so Hildegard Netos. Schwieriger hingegen war es, sich von Möbeln und persönlichen Gegenständen zu trennen. «Das Aufräumen und Ausmisten war streng, aber wir wollten unseren Kindern nicht die Last auferlegen, dies eines Tages für uns erledigen zu müssen», so Spiros Netos. Mit dem Umzug kamen auch einige Veränderungen. Zum einen sind die Mietkosten um monatlich 1200 Franken gestiegen. Besonders Hildegard Netos hatte deshalb Bedenken, ob die Veränderung im Hinblick auf ihre bevorstehende Pensionierung finanziell tragbar ist. Auch langjährige Freunde in der Nachbarschaft haben die beiden durch den Umzug zurückgelassen. Dafür schätzen sie nun die lebendige Umgebung mit vielen Einkaufsmöglichkeiten und natürlich die Nähe zur Tochter und deren Familie, zum Sohn, der auch in Bern lebt sowie zu Freunden, die den Schritt vom Land in die Stadt ebenfalls gewagt haben.