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Porträt / Für das Magazin "Mittendrin"

Kleine Ergebnisse sind grosse Erfolge

Als Kinaesthetics-Trainerin unterstützt die Spitex-Mitarbeiterin Margrit Badertscher Pflegefachpersonen darin, ihre eigenen Bewegungen wahrzunehmen und fördert so nicht nur deren Gesundheit und Beweglichkeit, sondern auch die der Klientinnen und Klienten.

Weier im Emmental: Wo heute die Bürotische der Spitex stehen, wurden bis vor Kurzem noch Pommes frites serviert und Bier gezapft. Zuvor war in diesen Räumlichkeiten nämlich eine Gaststube untergebracht. So einiges erinnert noch an die Zeit, bevor die Spitex hier einzog: «Der Raum dort mit dem schönen Parkett war das Säli. Und hier steht die Theke, die haben wir gelassen. Nur der Zapfhahn ist weg, den brauchen wir nicht mehr», lacht Margrit Badertscher. Die 53-Jährige ist Standortleiterin im Weier und Kinaesthetics-Trainerin in der Spitex Region Lueg.

Kinaesthetics, ein weites Feld

«Kinaesthetics bedeutet Kunst oder Wissenschaft der Bewegungswahrnehmung», erklärt Margrit Badertscher den Begriff rund um ihr Tätigkeitsfeld. Und fügt an: «Sie setzt sich mit der Entwicklung der Bewegungskompetenz und den Bewegungsmöglichkeiten, die jemandem zur Verfügung stehen, auseinander.» Kinaesthetics-Trainer arbeiten deshalb überall da, wo Menschen in den Aktivitäten
des täglichen Lebens Unterstützung benötigen. Im Spitexbereich genauso wie in Spitälern und Rehakliniken sowie in Pflege- und Behindertenheimen.

Gewinn für die Mitarbeitenden

«In der Kinaesthetic geht es darum, die Menschen nicht pflegeabhängig zu machen, sondern ihre Bewegungskompetenz zu fördern», sagt  Margrit Badertscher
«In der Kinaesthetic geht es darum, die Menschen nicht pflegeabhängig zu machen, sondern ihre Bewegungskompetenz zu fördern», sagt Margrit Badertscher

Konkret unterstützt Margrit Badertscher die Mitarbeitenden der Spitexpflege darin, die eigenen Bewegungen im Berufsalltag bewusster wahrzunehmen und, wenn nötig, anzupassen. Der Pflegealltag kann anspruchsvoll sein, auch körperlich: Betreuungsbedürftige Menschen im Bett umzudrehen, in den Rollstuhl zu transferieren oder zu waschen, kann körperlich an die Substanz gehen. «Manchmal braucht es eine andere Art von Unterstützung, damit die gleiche Tätigkeit kein «Chrampf» mehr ist. Das hilft den Mitarbeitenden im körperlich oft anstrengenden Pflegealltag, weniger Beschwerden und Überlastungsschäden zu bekommen», erklärt die gelernte Pflegefachfrau.

Mehrwert für die Klienten

Gleichzeitig zeigt Margrit Badertscher den Mitarbeitenden aber auch, wie sie die Klientinnen und Klienten in ihrer Beweglichkeit fördern können, damit diese in alltäglichen Aktivitäten wie Sitzen, Aufstehen, Essen oder Waschen wieder mehr Selbstständigkeit erlangen. Dabei sei es besonders wichtig, die Ressourcen der Klienten zu erkennen und nicht zu schnell helfen zu wollen. «Bevor wir den Fuss des Klienten einfach anheben, sollten wir zuerst schauen, ob die Person den Fuss nicht vielleicht noch selber heben kann», erklärt sie.

«Wenn wir einer Klientin beispielsweise mit einer sanften Bewegung beim Arm helfen können, dass diese sich wieder selber Kämmen kann, geben wir ihr damit auch ein Stück Lebensqualität zurück. Das macht für mich Pflegequalität aus.»

Margrit Badertscher
Auf die kleinen Bewegungen kommt es an
Auf die kleinen Bewegungen kommt es an

Ausserdem könne man oft mit kleinen, feinen Bewegungen die pflegebedürftigen Menschen wieder aktivieren: «Wenn wir eine Klientin waschen, die mehrheitlich im Bett liegt, hilft es manchmal schon, die Beine während dem Waschen etwas anzuwinkeln. Das bereitet sie auf das Aufsitzen vor. So ist diese Arbeit für beide Seiten viel angenehmer, und die Klientin liegt nicht einfach passiv da, sondern wird bewegt und belebt.» Meistens seien die Unterschiede in den Bewegungsabläufen minim, der Effekt aber enorm. Für Margrit Badertscher zählen deshalb eher die kleinen Ergebnisse als grosse Erfolge: «Wenn wir einer Klientin beispielsweise mit einer sanften Bewegung beim Arm helfen können, dass diese sich wieder selber Kämmen kann, geben wir ihr damit auch ein Stück Lebensqualität zurück. Das macht für mich Pflegequalität aus.» Nicht selten beziehen sie und ihr Team auch die Angehörigen in diese Art der Unterstützung ein, damit auch diese Erleichterung in der Pflege erleben.

Jede Situation ist anders

Die grösste Herausforderung in ihrer Tätigkeit sieht Margrit Badertscher darin, dass es keine einheitliche Technik gibt und kein eigentliches Rezept für Bewegungsabläufe. «Die Kinaesthetics ist sehr individuell, denn jeder Mensch bewegt sich anders.» Ihre Aufgabe bestehe daher vor allem darin, die Mitarbeitenden in ihrer eigenen Bewegungswahrnehmung zu sensibilisieren. Denn: «Erst wenn man die eigenen Bewegungen wahrnimmt und sie versteht, kann man sie auch beeinflussen.» Die Wahrnehmung der eigenen Bewegungen müsse man trainieren, «je mehr man sich achtet, desto feiner kann man die Unterschiede feststellen.» Margrit Badertscher unterstützt ihre Mitarbeitenden deshalb auch mit vollem Körpereinsatz. Manchmal begleitet sie ihre Mitarbeitenden auch zu einem Einsatz, beobachtet sie bei der Arbeit und erarbeitet anschliessend mit ihnen neue Bewegungsmöglichkeiten. Und ganz oft rollt sie auf dem Boden der ehemaligen Gaststube eine Gymnastikmatte aus, um darauf konkrete Bewegungsabläufe aus der Pflege nachzustellen. «Raum und Platz haben wir hier genug», sagt Margrit Badertscher lachend.