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Interview / Interview für die Sonderbeilage in der "Berner Zeitung BZ" und in "Der Bund" zum Thema Bildung - 28.01.2022

«Es ist schwierig, Leute zu finden»

Es herrscht Pflegenotstand in der Schweiz und eine Entspannung der Situation ist nicht in Sicht – im Gegenteil. André Peters, Leiter Pflege im Spital Emmental, spricht über den Kampf um Fachkräfte auf einem eingefrorenen Arbeitsmarkt.

André Peters, die Zahlen sprechen für sich: Aktuell sind im Pflegebereich 12'000 Stellen nicht besetzt*. Ist dies bei Ihnen auch spürbar?

Ja sicher, auch im Emmental spüren wir den Fachkräftemangel. Viele Stellen sind nicht besetzt und es wird zunehmend schwierig, Leute zu finden. Die Situation hat sich mit Corona noch verschärft. Ein Stellenwechsel bringt immer auch Unsicherheit mit sich und viele Menschen wollen in der aktuellen Situation kein berufliches Risiko eingehen.


Bis 2025 steigt der Bedarf an Pflegefachpersonen noch weiter an. Laut SBK geschätzt um 70'000 Personen. Wie gehen Sie damit um?

Zuerst muss man spezifizieren: Bei diesen 70'000 Personen sind Pflegeberufe verschiedener Stufen zusammengerechnet: Diplomierte Pflegefachpersonen, Fachfrauen und -männer Gesundheit (FaGE), Pflegeassistentinnen und -assistenten sowie Assistentinnen und Assistenten Gesundheit und Soziales (AGS). Auf der Stufe der Diplomierten brauchen wir wie alle Spitäler mehr Personal und das ist definitiv eine grosse Herausforderung. Wir investieren deshalb bereits seit einigen Jahren sehr viel in die Rekrutierung. In unserem Pflegealltag versuchen wir zudem, die Aufgaben so effizient wie möglich zu verteilen. Wir setzen dafür auf einen guten Skill-Grade-Mix. Das heisst, wir haben Pflegeteams, die aus Personen mit unterschiedlichen Qualifikationen bestehen, wobei die Hauptverantwortung immer bei einer diplomierten Pflegefachperson liegt.


Sie können aber bestimmt einen Teil des Personalbedarfs auch durch Fachkräfte aus dem Ausland decken, oder?

Ja, aber auch in Deutschland und Österreich ist der Arbeitsmarkt im Gesundheitswesen momentan eingefroren und wir erhalten fast keine Bewerbungen. Auch das hat einen Zusammenhang mit der Pandemie: Ein Umzug in ein anderes Land in ohnehin schon unsicheren Zeiten ist ein zusätzliches Risiko. Hinzu kommt, dass unsere Nachbarländer punkto Anstellungsbedingungen aufgeholt haben und auch die Lohndifferenz nicht mehr so gross ist, wie noch vor ein paar Jahren.


Gemäss Zahlen des schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (OBSAN) steigen über 40% der diplomierten Pflegefachpersonen und FaGe aus dem Beruf aus. Erleben Sie das auch so?

Definitiv. Oft ist die Familienplanung der Grund: Schichtbetrieb oder unregelmässige Arbeitszeiten sind für Familienfrauen und -männer schwierig zu vereinbaren. Wir sind sehr bemüht, attraktivere Rahmenbedingungen zu schaffen. Aktuell gestaltet beispielsweise ein Team probehalber seinen Arbeitsplan gemeinsam. Zudem haben wir eine eigene Kita im Haus, die flexibler funktioniert als andere Kitas, also ohne fixe Betreuungstage, sondern angepasst an den jeweiligen Dienstplan der Eltern.


Als Gründe für einen Ausstieg aus dem Pflegeberuf werden gemäss OBSAN auch körperliche und psychische Belastung angegeben. Wie gehen Sie damit um?

Die körperliche und psychische Belastung in diesem Beruf ist hoch, ja. Es geht dabei um das Aushalten von schwierigen Situationen. Wir bieten unseren Mitarbeitenden dafür Unterstützung in Form von Supervisionen an. Momentan mit Corona ist die psychische Belastung noch grösser als sonst. Vor allem auch weil das Arbeitsvolumen grösser ist und von gleich vielen oder weniger Personen bewältigt werden muss. Auch das Thema Impfung ist ein Spannungsfeld, besonders weil die meisten Covid-Patienten ungeimpft sind. Man bleibt hochprofessionell und macht keine Unterschiede, aber das braucht viel Energie. Für mich persönlich ist der Pflegeberuf aber dennoch der Inbegriff einer sinnstiftenden Tätigkeit: Jede Patientin / jeder Patient hat individuelle Wünsche, Ängste und Bedürfnisse. Einen Menschen kompetent zu betreuen und gleichzeitig jedes Mal auf diese Individualität einzugehen, macht den Beruf für mich überaus spannend und abwechslungsreich.

*Quelle: Schweizer Verband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK)

"Die Situation hat sich mit Corona noch verschärft", sagt André Peters vom Spital Emmental.
"Die Situation hat sich mit Corona noch verschärft", sagt André Peters vom Spital Emmental.